Sechs Monate lang hat Grimme-Preisträger Klaus Scherer Einblicke in Deutschlands größten Rüstungskonzern Rheinmetall erhalten. Wie prägt die Zeitenwende den Arbeitsalltag der Mitarbeiter?
Es ist ein regnerischer Morgen im August, als Fachleute vom Rheinmetall-Konzern Stichproben der neuen "Gepard"-Munition verschießen. Der Schauplatz ist im Süden der Lüneburger Heide, am Rheinmetall-Standort Unterlüß, hinter Wald, Warnschildern und Stacheldraht.
Im Kontrollraum bauen sich zu jeder Salve Datenkurven auf: Austrittsgeschwindigkeit bei Mündungsfeuer, Dauer der Leuchtspur, Schusszahl pro Minute. Es ist die Munition, auf die die Ukraine sehnlichst wartet, um sich weiter gegen russische Luftangriffe verteidigen zu können.
Kurz zuvor hat sich in Unterlüß ein leitender Mitarbeiter nach der Werksschicht bedankt. "Ihr könnt stolz sein", sagte er seinem Team. Tatsächlich gilt der Aufbau der hochsensiblen Fertigungsstraße binnen weniger Wochen als eine Rekordleistung. Begleitet hat ihn, unter Einhaltung von Geheimhaltungs- und Sicherheitsauflagen, ein Fernsehteam.
Auch als Konzernchef Armin Papperger dort jenseits der Öffentlichkeit einen hochrangigen Kunden empfängt, läuft die Kamera. Angereist ist der Verteidigungsminister Ungarns, Kristóf Szalay-Bobrovniczky, der bald darauf in fabrikneue, tarngefleckte Panzer steigt, selbst einen Kanonenschuss auslöst und sich schließlich per Nebelwerfer samt Fahrzeug in Tarnwolken hüllt. Detailreich erklärt Papperger ihm Bordwaffen und Munition, die vernetzte Kriegführung der Zukunft, Kundenandrang, Lieferfristen. Der Mann, der den Konzern seit mehr als zehn Jahren führt, erscheint als überzeugender Verkäufer.
Die Mitarbeiter des Rheinmetall-Konzerns hatten sich zuvor über Jahrzehnte daran gewöhnt, als Waffenbauer öffentlich eher gemieden, wenn nicht gar von Kritikern beschimpft zu werden. Wie erleben sie die neue Wertschätzung? Wie prägt die Zeitenwende ihren Alltag? Erstmals geht eine Langzeitreportage, quasi in Nahaufnahme, diesen Fragen nach. Scherer zeigt, wie in Rheinmetall-Fabriken an altem wie neuem Kriegsgerät hantiert wird, lässt sich die Funktionsweisen von Haubitzen und kinetischen Geschossen schildern, beschreibt Engpässe und Schwierigkeiten.
Ob die Beschäftigten ihre Arbeit denn mit den Kriegsszenen verbinden, die sie allabendlich in den Nachrichten sehen, fragt er mitunter nach. Manche tun es, manche nicht. Über Anerkennung indes freuen sich alle. "Früher mussten wir uns hier den Weg zur Arbeit schon mal durch eine Demo bahnen und waren die Buhmänner", erinnert sich ein leitender Mitarbeiter. "Jetzt ist es ruhiger."
"Unsere Beschäftigten waren immer überzeugt davon, dass sie das Richtige tun", sagt Papperger, als er zur Frankfurter Börse vorgefahren wird. "Es ist schön, dass das auch von anderen nun so gesehen wird." Es ist der Tag, an dem Rheinmetall in den Kreis der DAX-Unternehmen aufsteigt, der bisherige Höhepunkt in Pappergers Laufbahn. Seit 30 Jahren ist er Rheinmetaller, er weiß noch, wie sich ein Schraubenschlüssel anfühlt. Ein bisschen stolz? "Ich würde es Demut nennen", antwortet er. Den ganzen Vormittag steht er im Rampenlicht. "Wir müssen Deutschland dienen", ist einer seiner Lieblingssätze. Scherers Film gerät auch zum Porträt eines Vorstandschefs, der in Wirtschaftskreisen mal als angenehm bodenständig beschrieben wird, mal als auffallend umtriebig.
Als Papperger in Berlin den ukrainischen Botschafter, S.E. Oleksii Makeie
Film von Klaus Scherer; Erstsendung 24.10.2023
Dokumentation
Erstsendung 24.10.2023